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Kann eine Freundschaft eine Liebesbeziehung ersetzen?

von Hanne Hanselmann

Simone, eine „Langzeitsingle“ um die fünfzig hatte mich nach einem Kurs in der VHS um eine Einzelstunde gebeten. Trotz der Bekümmertheit, die ihre Gesichtszüge verdüstern als sie mir gegenüber sitzt, ist sie eine attraktive Frau. Sie erzählt, dass sie bald mit einer langjährigen Freundin zusammen in eine Wohnung ziehen wird und, dass sie sich fragt ob sie dann überhaupt noch weiter nach einem Mann suchen soll.

Ihr konkretes Thema: “Wir, Ulla und ich kennen uns seit der Schulzeit und haben schon mal 5 Jahre zusammen gewohnt. Wir kennen uns sehr gut, und haben einen Rhythmus des Zusammenlebens gefunden, außer Sex können wir eigentlich alles zusammen machen. Soll ich wirklich aktiv weiter nach einem Mann suchen, diese Angst und Mühe weiter auf mich nehmen, bei all meinen schlechten Erfahrungen, wo in der Freundschaft mit Ulla doch fast alle meine Bedürfnisse befriedigt werden?“    

Kurz zusammengefasst lautete Simones Frage: Kann eine Freundschaft eine Liebesbeziehung wirklich nicht ersetzen? Kurz zusammengefasst lautete meine Antwort: „Nein, nicht wirklich.“ Es gibt einiges, das es nur in einer Liebesbeziehung zu erleben gibt, z.B. Erotik und Sexualität. In der Sexualität sind wir gezwungen, uns „nur“ mit uns selbst und dem Partner zu beschäftigen. Bei allem anderen, sowohl mit dem Partner als auch mit Freunden ist immer etwas „Drittes“ dazwischen, z.B. bei Gesprächen über ein Thema, auch bei jeder Art von Amüsement, selbst bei gemeinsamer Arbeit.  Beim Sex aber gibt es nur die beiden Partner und ihre Kommunikation. Egal, ob die zwei verklemmt und verhalten „Liebe machen“ oder enthemmt und phantasievoll, sie müssen sich aufeinander beziehen. Entsteht eine gute Resonanz, kommt es zu einer Art Verschmelzen. Auch dieses einzigartige Erlebnis ist nur in einer Liebesbeziehung möglich.

Oder zum Beispiel ein intensiveres Erleben von Wirklichkeit. In einer Liebesbeziehung  erzählen sich Partner kontinuierlich die Ereignisse ihres Alltags, wichtige und unwichtige. Sie machen sich dadurch gegenseitig zu „Zeugen“ dass ihre Erlebnisse „wirklich“ waren und oft werden ihnen durch das „in Worte fassen“ die dazugehörenden Gedanken und Gefühle erst richtig bewusst und können somit verarbeitet werden. Das Feedback des anderen hilft auch, sich für die eigenen Handlungen mehr verantwortlich zu fühlen.

Last but not least, die Nummer 1 im Leben eines anderen sein ist als Phänomen ein Wunder und nur in einer Liebesbeziehung zu haben.

Simone, war bei unserem Gespräch sehr nachdenklich und meinte gegen Ende: „Ich suche weiter und habe gerade auch eine gute Portion Hoffnung gekriegt, aber bei meiner Angst vor Enttäuschungen und Versagen wird es nicht leicht werden.“ 

Für viele „Langzeitsingles“, die Hauptgruppe in meiner Singleberatung klingen die oben angeführten Argumente theoretisch sehr schön, praktisch aber unmöglich. Viele von ihnen hatten schon in der Kindheit keine gute Mutter-Kind-, Vater-Kind- Beziehung erleben können, die meisten haben spätestens seit ihrem Erwachsenenleben eine oder mehrere Beziehungskatastrophen hinter sich. Ich bin überzeugt, dass es sich trotzdem lohnt, wild entschlossen einen Partner zu suchen und dann, ist einer gefunden, der wirklich zu einem passt unbeirrbar an sich und der Beziehung zu arbeiten - wenn es sein muss, auch mit Unterstützung von Experten. Denn gerade ein Mensch mit einer verletzten Psyche, der noch nie die uneingeschränkte Liebe eines anderen Menschen erlebt hat, kann in der Erfahrung einer gelingenden Liebesbeziehung nachreifen und heiler werden. 

Mit folgendem Satz von Jürg Willi möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass es mir nicht um Partnerschaft um jeden Preis geht sondern um eine „gutgenuge“ Liebesbeziehung. Jürg Willi sagt: „Nichts fordert die persönliche Entwicklung im Erwachsenenalter so heraus wie eine konstruktive Liebesbeziehung, nichts aber lähmt und blockiert so wie eine destruktiv gewordene Liebesbeziehung.“